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Lieber Herr Burchardt, lieber Herr Böttcher,
für mich beinhaltet das Denk- und Trostmodell von Herrn Böttcher, dass keiner für seine Taten verantwortlich ist. Ich bin weder Philosoph noch Psychologe (was ein Autor doch sein muss), aber mir gefällt die Vorstellung überhaupt nicht, dass auch ein Mörder keine Wahl hat und töten muss. Auch, wenn er geschnappt und verurteilt wird: Sagen Sie das mal den Hinterbliebenen. Es gäbe kein Mitgefühl mit dem Opfer, denn es konnte sich ja auch nicht anders entscheiden, als sich dem Mörder als Opfer darzubieten. Schrecklicher Gedanke, dass alles Zufall sein soll.
Ich nehme mir jetzt die Freiheit heraus, zu bekennen, Ihre Diskussionen zu lieben. Sie sind für mich reines Vergnügen, weil zum Weiterdenken anregend.
Viele Grüße aus Herzogenaurach,
Renate Menges.
Hat in Auszügen gut funktioniert als Diskussionsgrundlage für eine Q11 in Bayern in kath. Religionslehre.
@Sven: Was wäre das für ein Gott, der das Drehbuch kennt und sich trotzdem den Film anschaut, in dem er Glück und Leid seine Protagonisten nicht spielen, sondern durchleben lässt? Sadist und Masochist?
Ich habe die Namen gerade nicht parat, müsste in Lurkers Lexikon der Götter und Dämonen nachschlagen, es werden sicher Dutzende oder Hunderte sein. Deren Existenz ist aber nicht zwingend erforderlich für meine angebotene Nichtwillenserklärung. Herzlich/S
Leider hat Matthias nicht die konkrete Stelle von Nietzsche herangezogen. Er äussert sich nämlich explizit dazu, und sagt, es gäbe weder einen freien noch einen unfreien Willen,
sondern nur einen starken und einen schwachen Willen. Und er sagt, auch das sei zweifelhaft.
Nämlich dass dem, was wir “Wille” nennen auch etwas psychologisch Reales entspricht.
Ausserdem gibt es zu jeder Zeit für Nietzsche zahlreiche Willen in uns die gegeneinander Krieg führen. Und wir erfahren meisten nur vom Sieger. Daher sagt er auch:
“Der Krieg ist der Vater aller guten Dinge.”
Die Kombination der Konzepte “Freiheit” oder auch “Unfreiheit” und “WiIle” ist absurd oder
führt zu zahlreichern Absurditäten und Widersprüchen.
Wenn es Freiheit oder Unfreiheit gibt beim Menschen, dann doch gerade nicht beim Willen.
Phantasie oder Vorstellung würde ich eine gewisse Freiiheit oder Unfreiheit zuerkennen.
Und Schopenhauer hat genau das gemacht: Die Welt aus Vorstellung und WIlle gebildet.
Ausserdem ist der “freie Wille” tatsächlich eine (hauptsächlich christlich) theologische Konstruktion. Nur so lässt sich das letzte Gericht rechtfertigen.
In antiken Schriften wird man diese Konstruktion umsonst suchen. Die antiken Philosophen sind auf so eine redundante und absurde Idee gar nicht gekommen. Sie wäre auch nicht glaubhaft gewesen. Und wir schlagen uns dabei mit einem mittelalterlichen theologischen Problem herum.
Und es ist richtig, dass unser ganzes Strafrecht auf dieser Konstruktion fusst. 🙂
@sven: wie komme ich zu der Ehre zitiert zu werden?
Wie auch immer, meine damaliegen Ausführungen spiegelten meine augenblickliche Empörung wider, die hier ja auch andere erfasst hat. Jetzt ein Jahr später habe ich die letzten Tage nachgedacht, nachgespürt und ein klitzekleiner Satz in Deinen Antwortenzu den Kommentaren hat mich auf die Spur Deiner Denke gebracht. Und damit kann ich mich versöhnen.
Verdichtet fand ich es kürzlich auf einer dieser Postkarten, die oft recht witzige Sprüche transportieren.
Montagabend gelesen und die ganze Wucht dieser Aussage hat mich heute morgen auf dem Weg zur Arbeit ereilt.
Es ist alles fertig – Es muss nur noch gemacht werden.
@matthias, eine sorgfältige Begriffsauslegung am Anfang wäre vielleicht hilfreich gewesen, das gelingt Dir mit dem Alexander immer so schön.
Dessen ungeachtet bin ich von mir selber immer wieder überrascht, wenn ich mal den Reflex unterdrücke undabwarte.
Danke dafür.
Liebe Grüsse aus CH
DIE Steffi
Lieber Sven,
schön, dass ihr das schon öfters erwähnte Thema „Willensfreiheit“ nun diskutiert habt. Seit ich 2010 Michael Schmidt-Salomons Buch „Jenseits von Gut und Böse“ gelesen habe, bin ich überzeugt davon, dass Willensfreiheit nur eine Illusion ist.
Die Zwangsläufigkeit, die sich aus der nicht existenten Willensfreiheit ergibt, müsste logischerweise für ALLES gelten und damit wäre alles determiniert. Diesen Gedanken verdränge ich, denn er führt nur zu Kopfschmerzen und hilft mir nicht weiter. Auch wenn alles zwangsläufig geschehen würde, gäbe es trotzdem keine Möglichkeit in die Zukunft zu schauen. Schon um ein Schachspiel vorauszuberechnen ist eine große Rechenleistung erforderlich, doch um wieviel größer ist die Zahl der Variablen des Lebens? Ungefähr das Doppelte und selbst das 42fache reicht hier ausnahmsweise nicht. Diese Zahl liegt sicher weit außerhalb des Vorstellbaren und ist dennoch nicht das eigentliche Hindernis. Die Betrachtung der Zukunft dürfte nur von außen (was immer das auch wäre) erfolgen, denn ansonsten würde die Betrachtung (die Messung) das Ergebnis beeinflussen. Falls die Zukunft tatsächlich determiniert ist, so bliebe sie uns doch verborgen.
Ich habe mich mit dem Gedanken, dass Willensfreiheit eine Illusion ist, angefreundet und kann auch kein valides Gegenargument erkennen. Ich hoffe auf eine Fortsetzung eures Gesprächs. Wie kann, wie sollte man damit umgehen, dass es keine Willensfreiheit gibt?
Beste Grüße, Michael
Lieber Michael,
Du entwickelst doch oben sehr elegant selbst den Weg aus den Kopfschmerzen und eine ganz entspannte Antwort auf die Frage „wie sollen wir damit umgehen?“ Wir sind unfrei und determiniert in unserem Handeln als Antwort auf äußeres wie inneres Geschehen, haben aber keinerlei Einfluss, geschweige denn Ahnung, was uns demnächst zustößt – denn alles ist zufällig, chaotisch und unvorhersagbar. (Außer vielleicht für den uns unbekannten Besitzer allen Wissens und allen Verhaltens aller Atome und kleineren Teile allerorten). Für UNS ist also gar nichts erkennbar vorherbestimmt, weder unser kommendes Verhalten noch das, was wird gleich, morgen oder zukünftig erleben dürfen. Für mich ergibt sich aus diesem doppelten Minus (kein freier Wille UND dem Schicksal blind ausgeliefert) das exzellente Plus, dass ich erstens mir selbst keine Vorwürfe machen muss für eigene vergangene Blödheit und ich zweitens total gespannt bin, was dieser Sven wohl morgen so erfährt und was er daraus macht. Dann wünsche ich mir (zum Glück bin ich so gepolt und kann nicht anders) natürlich gern, das generelle Chaos möge Zustände und Gefühle in mir auslösen, die mein Herz und/oder Hirn erfreuen, und oft klappt das sogar, wie zum Beispiel bei der Lektüre eurer/deiner Anmerkungen. Ich kann mir dann sogar einbilden, der ganze Kosmos brumme temporär zufrieden in meinen Higgs-Bosonen, weil da einzelne „Ichs“ ihre vorhandenen Talente nutzen (Denkfähigkeit) und sich fragend austauschen über die Grenzen ihres Wissenkönnens hinaus.
Wie schon im Gespräch mit Matthias ausgeführt: Mich macht dieser ehrliche Kunstgriff versöhnlich(er) meinem Schicksal und meinen Mitmenschen gegenüber, versorgt mich mit Dankbarkeit statt Eitelkeit, erst recht dankbar allmorgendlich, dass ich noch einen weiteren Tag mit funktionierendem Verstand über Dinge und Gefühle nachdenken darf. (Ich hab´s dabei nicht eilig, wieder nichts und allwissend zu werden, also wieder Teil des harmonischen Kosmos, das kommt ja immer früh genug. Erstmal das Menschsein auskosten und all die großen interessanten Fragezeichen, die dich daraus ergeben).
Ein Fortsetzungsgespräch zum tieferen Sinn des Lebens können wir ja trotzdem mal vorsehen. So das Schicksal will, machen wir das dann einfach, ganz unfreiwillig zufällig.
Herzlich
Sven
Habt ihr meinen Kommentar gelöscht? Kann ich mir nicht vorstellen. Dies würde mich sehr verwundern.
Warum sollte man sich nach Freiheit sehnen, sich für sie einsetzen, um sie kämpfen, wenn men keine Freiheit im Tun und Denken hat, da ja alles determiniert sei? Für was brauchte das Individuum Rechte, wenn keines ihm die Möglichkeit gewährte, sich wirklich zu entscheiden?
Der Gedanke von Sven kommt einer Negierung der Existenz eines Gottes, egal welcher Religion, gleich. Und vielleicht ist das auch der springende Punkt: Materieller Determinismus versus göttliche Schöpfung. Warum sollte es Gebote geben, wenn wir keine wirkliche Wahl hätten, sie zu befolgen oder zu übertreten? Wofür sollte Jesus sich die ganze Mühe mit Bergpredigt, liebe Deine Feinde und Kreuzigung gegeben haben, wenn die Menschen unschuldig schuldig würden.
Wir haben die letzten Geheimnisse der Quantenphysik und der Welt überhaupt noch nicht verstanden, wir wissen nicht wirklich warum das alles hier vor sich geht. Und so besteht aus meiner ganz persönlichen und unmaßgeblichen Sicht ein Rest von Hoffnung auf echte Freiheit, unser Leben nach unseren eigenen Entscheidungen zu gestalten. Alles andere stellt in Frage, dass es überhaupt so etwas gibt, wie den Sinn des Lebens.
Herzliche Grüße und ein großes Dankeschön für Eure immerwieder wunderbahren Ausführungen!
Ein wunderbares Thema,welches mich schon lange bewegt. Darum ist es sehr anstrengend für mich diesen Beitrag anzusehen ohne meine Gedanken einwerfen zu können. Ich bin da so aufgeregt wie ein Hund, der sein Herrchen sieht, aber nicht aus den Käfig kann.
Jene, die meinen, ich bin in meinem Handeln frei, sagen doch nur “dem eigenen Willen gemäß”.
Sagen also ” ich kann tun was ich will”. Doch ist das was ich will unabhängig von den Umständen, von den Gedanken und Erfahrungen die ich habe? Nein. Denn welches Motiv oder welcher Reiz auf mich wirkt, ist entscheidend. Wenn ich mich nicht entscheiden kann, liegt es an der gleichen Stärke der auf mich einwirkenden Motive. Erst wenn ich durch Überlegung das eine oder andere verstärken kann, werde ich mich entscheiden.
Die Motive treffen auf mein Wesen, meinen Charakter, wie auf einen Filter und damit steht die Entscheidung fest.
Das Selbstbewustsein erkennt erst an den Handlungen den eigenen Charakter. Deswegen schätzen wir uns in jungen Jahren öfter falsch ein, als mit vortgeschrittenem Alter.
Der Charakter ist empirisch.
Der Charakter ist aber auch konstant. Er verändert sich nicht. Einige werden sagen, ” Das was ich damals getan habe, würde ich so heute nicht mehr machen. Also hat sich doch mein Charakter geändert.” Es sind aber andere Motive und eine andere Erfahrung die ich habe, welche auf den gleichen Charakter treffen, und dadurch eine andere Willensentscheidung
zustande kommt. Wenn ich wieder auf die gleiche Situation unter gleichen Umständen mit gleichen Wissen treffe, werde ich zwangsläufig auch wieder genauso handeln.
Unsere Anschauung beruht auf Raum, Zeit und Kausalität. Diese sind uns apriori bekannt.
Raum für die Vielheit. Wir können uns keinen endlichen Raum vorstellen, ohne zu denken, drumherum muss auch Raum sein.
Die Zeit für das Geschehen, das Nacheinander. Wir können uns keinen Anfang und kein Ende der Zeit vorstellen, ohne zu fragen was war davor oder was kommt danach.
Und Kausalität für das Entstehen und Vergehen. Es lässt sich kein Geschehen denken welches ohne Grund ist. Wir würden immer fragen warum etwas passiert.
So sind auch unsere Willensentscheidungen begründet, also bedingt. Das ist das Gegenteil von frei. Man darf die Entscheidungsfreiheit nicht mit der Willensfreiheit verwechseln.
Alles was wir sehen und spüren sind Willensäußerungen in diesen Kategorien unserer Anschauung.
Darum liegt die Freiheit im Sein und nicht im Handeln.
Ich muss Sven widersprechen. Er ist sehrwohl verantwortlich für sein Tun und für seine Verdienste. Er ist es der seine Entscheidungen trifft, auch wenn sie gesetzmäßig eintreten.
Sie sind Folgen der Willenserscheinung Sven. Sven will sein.Darin liegt die Freiheit. Aber alles was in der Erscheinung geschieht, passiert notwendig.
Wenn er allerdings sagt, er wurde durch einen individuellen Gott geschaffen, so ist dieser verantwortlich und nicht Sven. Denn er hat ihn, so wie er ist , erschaffen. Also auch seinen Charakter. Gott weiß also wie jemand handeln wird. Stehen nicht schon seit Anbeginn der Zeit die Namen im Buch des Lebens?
Es wäre also ungerecht wenn er Sven für seine Taten bestrafte. Das wäre ein grausamer Gott. Geschaffen sein und frei sein, geht nicht zusammen.
Man könnte auch sagen, alles ist Gott. Er hat sich in verschiedene Erscheinungen aufgeteilt. Das wäre Pantheismus. Schopenhauer bezeichnet dies als die vornehme Art des Atheismus.
Ich kann daher jedem Arthur Schopenhauers “Über die Freiheit des menschlichen Willens” empfehlen. Auch wenn gesagt wird er wäre sehr düster, da er Pessimist ist, war er doch für mich sehr erhellend. Natürlich soweit ich ihn verstanden habe.
Er würde sich sicherlich im Grabe drehen, und mir seine Werke um die Ohren hauen, lese er meinen Text. Ich habe nicht studiert und bin lediglich Schlosser, der sich so seine Gedanken macht, was man mit Sicherheit spürt.
Der freie Wille wird immer durch die begleitenden Umstände eingeschränkt oder beeinflusst. Die Ansicht, dass jede Handlung, vorbestimmt ist, ist für mich nicht nachvollziehbar.
War trotzdem nett eurem Gespräch zu lauschen und die Kommentare zu lesen.
Für alles weitere und wenn es extremer wird, gibt es Dr. Bonelli 😉😃
Eine (vorläufig) letzte Frage zu eurem wirklich sehr inspirierenden Dialog über den freien Willen habe ich noch:
4. Wenn Sven recht hat und auch der Bill gar nichts dafür kann, was er tat und tut – müssen dann nicht doch alle Gesetze und alle Rechtssprechung eingestampft und jedem Menschen alles Tun vorbehaltlos zugestanden werden? (Sven hat das im Gespräch verneint, doch ist das nicht völlig unlogisch, selbst in Svens Argumentation?)
Denn dann kann Svens Theorie auch der Jaspersche Richter von Matthias nicht retten – ganz im Gegenteil: Weil dessen (des Jasperschen Richters) Beharren auf seiner eigenen ‘Unschuld’ (ich bin bürgerlich sozialisiert und kann deshalb – also, weil ich keinen freien Willen habe – nicht anders, als den Angeklagten zu verurteilen, der sich darauf berufen hatte, seine Tat ohne freien Willen begangen zu haben) im Rahmen von Svens Theorie zwar korrekt, aber ein jedes seiner sich darauf berufenden “Urteile” einfach nur BLANKE WILLKÜR wäre und damit Freier Wille in perverser Potenz.
Und blanke Willkür wollen wir doch alle nicht, die wir allesamt über keinen freien, mithin auch keinen willkürlichen Willen verfügen – laut Sven.
In dieser Logik des Unfreien Willens also könnte (und dürfte) auch der Bill von keinem Richter und keinem Gericht je verurteilt und hinter Gitter gebracht werden.
Und das – was ja auch ganz real geschehen wird, bar aller Diskussionen über den freien Willen -, das ist für mich einfach nur grauenvoll. Wenn diese “Es gibt keinen freien Willen-“Theorie das noch untermauert,
tja.
Dann ist das so.
Ich aber widerspreche ihr argumentativ gestützt, solange ich kann und aus freiem Willen und in voller Verantwortung für mein Tun!
Liebe Corinna, wie ich schon einleitend sagte, verstehe und schätze ich jeden Widerstand gegen meine Prämisse und die Folgen – wenngleich ich selbst die Konsequenzen annehmbar finde, nach Überwindung des grauenhaften Gefühls am Anfang des Denkweges. Es fragte auf anderem Wege jemand, ob meine Hypothese überhaupt widerlegbar sei, die Antwort lautet meines Wissens “Nein”. Sofern wir die Prämisse akzeptieren, kommen wir aus der Nummer nicht mehr heraus, Peter (siehe unten) hat das kurz auf den Punkt gebracht. Dass du “argumentativ gestützt” widersprichst, ist wahr, aber nicht frei, denn du kannst ja nicht anders :).
Was Jaspers betrifft, den Richter und Bill, besteht aber reichlich Hoffnung, denn Zufall und Willkür sind doch nicht immer gegen unseren (unfreien) Geschmack! Wenn Bill an einen Richter gerät, der qua Geburt, Erlebnis, Erfahrung etc. pp. im Moment des Urteilsspruch “tickt” wie wir, geht Bill lebenslang in den Bau. Ihm wird das sehr ungerecht und willkürlich vorkommen. Er wird zufällig an einen Richter geraten, der das “unfreie”, in sofern schuldlose Prinzip anerkennt, aber (wenngleich selbst unfrei in seinem Urteil) vom Opfer her argumentiert, nicht vom Täter. So kämen Bill wohl um die Strafe wegen millionfachem Vorsatz mit Todesfolge (vulgo Mord) herum, nicht aber um die Strafe wegen Totschlages :).
Im übrigen bitte ich um Nachsicht, dass ich freien Willen und freies Handeln kategorisch in Frage stelle. Mir ist bewusst, dass sich der überraschende Charme meiner Schlußfolgerungen daraus nicht leicht vermitteln lässt, ich freue mich aber, dass du (und ihr) mit mir darüber nachdenkt, lerne und denke weiter, kann aber einstweilen nichts dafür, dass ich meine Argumentation recht überzeugend finde.
Herzlich, Sven
Ups, Entschuldigung, meine (kurze 😉 Antwort an Dich, lieber Sven, ist leider ein bisschen nach unten verrutscht.
Lieber Sven, lieber Matthias!
Danke für das gehaltvolle, dichte Gespräch.
Svens Argumentation ist vollkommen nachvollziehbar. Doch obwohl sie sich gerade darin gründet, dass der freie Wille sich aus den bisher gelebten Beziehungen, aus dem Erfahrenen und subjektiv Wahrgenommenen (einschließlich aller daraus resultierenden Glaubenssätze) innerhalb seines Umfeldes herausbildet, empfand ich seinen Standpunkt in letzter Konsequenz merkwürdig bindungs- und beziehungslos.
Wie Corinna vor mir es ganz ausführlich schreibt, ist der Wille zur Entwicklung einer eigenen Entscheidung, ein Vorgang der Anstrengung, m.E. Ausdruck des Willens zur Freiheit. Deshalb ist die Frage, in welchem Rahmen wir über einen freien Willen verfügen (können!), wichtiger, als die Frage, ob wir überhaupt über einen solchen verfügen.
Für mich persönlich bedeutet Freiheit nicht einfach nur tun zu können was ich will, sondern nicht mehr tun zu müssen, was ich nicht mehr will und die Verantwortung möglicher Konsequenzen daraus zu tragen. Ein lebenslanger Prozess!
Ganz herzlich,
Antje
Liebe Antje,
Empfindungen sind ja unbestreitbar, auch diese deine: “empfand ich seinen Standpunkt in letzter Konsequenz merkwürdig bindungs- und beziehungslos”. Sei aber bitte versichert, dass ich selbst meinen Standpunkt als ganz extrem bindungs- und beziehungsreich empfinde und mich als beschenkt, mich qua Verstand als Unfreier zu erkennen, der in einem sich chaotisch entwickelnden Ganzen unheimlich gespannt ist, was er wohl im nächsten Augenblick denken und tun und wie er handeln wird. Mir scheint, wir haben da in der kurzen Phase unserer “Ich”- und Menschenexistenz tatsächlich jedem Eichhörnchen oder Kieselstein etwas voraus, ganz gleich, was der Zufall uns so serviert. (Zugegeben, sich mit dem ganzen Kosmos verbunden zu fühlen, klingt ein bißchen lahm, aber ich kann mich darauf hinausreden, dass ich das nun mal ganz unfrei als schön und tröstend empfinde).
Aber keine Sorge, ich vergesse meine Überzeugung auch manchmal und ärgere mich oder bilde mir ein, etwas verändern zu können. Ich bin sogar sehr dankbar, dass ich ganz unfrei diese gelegentliche Alzheimer-Meise habe :).
Herzlich
Sven
Guten Morgen, lieber Sven und danke für Deine prompte Antwort!
Dann liegt ja offensichtlich eine große Freiheit in Deiner radikalen Akzeptanz einer angenommenen ‚Unfreiwilligkeit‘ 😉
Sozusagen: Freiheit als Freisein von Angst vor Unzulänglichkeit – finde ich gut!
Die Schwierigkeiten beginnen m.E. zum Einen innerhalb notwendiger Unterscheidungen zwischen Freiheit, Frei-Sein und freier Wille und zum Anderen in der Frage der Verantwortbarkeit eigener (sind sie es dann überhaupt noch?) Entscheidungen.
Treffe ich beispielsweise eine Entscheidung, die mich vor Gericht bringt, hat das Gericht, als Teil des gesellschaftlichen Entwicklungsstadiums auch nur einen eingeschränkten (nach Deiner Ansicht wohl gar keinen) freien Willen und wird mich so oder so bestrafen müssen, weil das System ja „nicht anders kann …“
Ich erinnere mich nicht mehr ganz genau, glaube aber Buddha soll inetwa folgendes gesagt haben: „Alles, was gewesen ist, dafür hast du nicht die Verantwortung.
Alles, was jetzt geschieht, dafür hast du nicht die Verantwortung, aber
dafür, wie du auf das antwortest, was jetzt geschieht, dafür hast du die Verantwortung.“
Diese Aussage empfand ich in mehrerer Hinsicht persönlich befreiend, denn nur in der letztendlichen Antwort, auf das, was jetzt geschieht, verfüge ich über einen wie auch immer gearteten Handlungsspielraum.
Nochmal ganz herzliche Grüße und danke für die Möglichkeit eines Austausches über dieses sehr spannende Thema!!
Antje
P.s. Und, ja, wir sollten unsere Überzeugungen auf jeden Fall immer wieder mal vergessen :-))
Einen sehr herzlichen Dank für die Antwort, lieber Sven!
Dass Deine Theorie durchaus Charme hat und zu faszinieren vermag, hatte ich ja selbst schon angemerkt (und das wird vielleicht auch aus meinen vielen – offenen [und das müssen sie sicherlich auch bleiben] – Fragen dazu ersichtlich).
Eine Bitte um Nachsicht dafür, dass Du bei ihr bleibst, erübrigt sich, zumal ich davon ausgehe, dass Du sie nicht kurzfristig für B&B ausgearbeitet hast, sondern sie im Laufe Deines Lebens entstanden ist. Und an so etwas lässt sich dann schwer rütteln (was ich auch gar nicht tun möchte; ich wollte nur darauf hinweisen, dass es aus meiner Sicht in ihr ein paar Widersprüche zu unserem Konzept von Menschsein auch in anderer Hinsicht gibt).
Herzliche Grüße
Corinna
Vielen Dank für diesen wieder einmal äußerst anregenden Dialog!
Die Vorteile von Svens Theorie waren wirklich (positiv) überraschend für mich.
Allerdings habe ich dennoch ein paar Fragen bzw. Einwände:
1. Vom Sinn oder Unsinn des Abwägens:
Vor schwierigen Entscheidungen, die mich zunächst so hilflos wie Buridans Esel machen, beginne ich einen Prozess des Abwägens (und weiß mich damit nicht allein): Ich lasse mich durch Menschen beraten, die unterschiedliche Positionen vertreten, und v.a. suche ich mit der berühmten Plus-/Minus-Liste nach Pro- u. Contra-Argumenten für beide (meist sind es nur zwei) Entscheidungsoptionen, wobei ich nicht nur ‘rationale’ Aspekte berücksichtige (z.B. welche praktischen Folgen könnten sich jeweils ergeben; welche Probleme, welche Vorzüge etc.), sondern auch ‘irrationale’ (z.B. was macht mir warum Angst, wenn ich diese oder jede Option wähle; was beglückt mich etc.). Tatsächlich bin ich so immer zu einer Entscheidung gekommen, obwohl ich anfänglich außerstande dazu war. Und obgleich ich im Rückblick manchmal falsch entschieden habe (glücklicherweise selten), kann ich doch bis heute zur getroffenen Entscheidung ‘stehen’, weil ich sie begründen kann.
Wenn Svens Theorie zuträfe, müsste ich doch von Anfang an eine Option präferieren? (Wäre das dann nicht eine Art ‘Instinkt’?)
Und ich könnte mir den meist doch vergleichsweise komplizierten Abwägungsprozess sparen? – Das aber fände ich gefährlich irrational; hinzu kommt, dass ich auf diesem Wege immer mich überraschende neue Gedanken entwickelt oder – im Beratungsfalle – geschenkt bekommen habe, die ich nicht mehr missen möchte.
2. Die Psychoanalyse arbeitet bekanntlich damit, dass den Menschen ihre ‘Triebgründe’ auch für Entscheidungen bewusst(er) werden, um ‘irrationale’ und sich wie Automatismen darbietende (s.o. ‘Instinkt’?) Entscheidungen in ihren Ursachen aufzudecken, die die Menschen zumeist in problematische Lebenssituationen hineinführen und sich zu allem Übel auch noch beständig wiederholen (die Problemlagen also immer auswegloser machen); mit dem Ziel, solche vermeintlichen Automatismen als eben nur vermeintliche erkennen, bewusstere Entscheidungen treffen und möglichst aus dem Teufelskreis des Wiederholungszwanges herauszukommen zu können.
Wäre Svens Theorie korrekt, dann könnten wir Menschen auch dieses aufklärerische Projekt namens Psychoanalyse knicken. – Doch gibt es unzählige gelingende Analysen …
3. Der freie Wille als Bedingung für den Möglichkeitsraum des Spiels:
Wenn ich (wichtige) Entscheidungen treffen muss, versuche ich (s.o. 1), neben mich zu treten (Distanz zu sich ist ja immer was Feines, gelingt aber oft nicht). Wenn das klappt, eröffnet sich mir eine Art Möglichkeitsraum, in dem ich spielerisch die Folgen der verschiedenen Optionen entwerfen kann (natürlich als Fiktionen; ob mir in der Realität das wahrlich unplanbare Leben nicht einen Strich durch die Rechnung macht, weiß ich ja nicht).
Dieses Spiel empfinde ich per se als mich in meinem Möglichkeiten als Mensch so bereichernd, dass ich es schon aus diesem Grund nicht missen möchte: In der Fantasie “frei zu” und “frei von” zu sein, das mag eine Illusion sein, aber ich halte sie für existentiell. Was geschieht, wenn ich mich da nun von Sven ‘entzaubern’ lasse? Hört, mit Schiller gedacht, der Mensch dann nicht auf, Mensch zu sein?
Herzliche Grüße in die Runde von
Corinna
Ich kann Svens Ansicht gut nachvollziehen. Es existiert nur der derzeitige Augenblick,
die Entscheidung die ich jetzt treffe ist determiniert durch vorangegangene Augenblicke und die Summe der jetzt getroffenen Entscheidungen im Kollektiv determiniert unsere folgenden Augenblicke.
Vielen lieben Dank für das Teilen eurer Gedanken.
Vielen Dank für diese wunderbar erhellenden und sortierenden Gedanken. Ich werde sie mir (mindestens) noch einmal zu Gemüte führen, wobei ich schon während des ersten Mals immer mal wieder gestoppt habe und um einige Gedanken zurückgewandert bin, weil ich sie wirklich in mich aufnehmen “wollte”.
Während des Zuhörens lief in meinem Kopf ein Soundtrack – ein Lied, das mich fasziniert und dessen Text ich gern mit Euch teilen möchte, da er mir passend erscheint:
The Humbling River
(Lied von Puscifer)
Nature, nurture heaven and home
Sum of all, and by them, driven
To conquer every mountain shown
But I’ve never crossed the river
Braved the forests, braved the stone
Braved the icy winds and fire
Braved and beat them on my own
Yet I’m helpless by the river
Angel, angel, what have I done?
I’ve faced the quakes, the wind, the fire
I’ve conquered country, crown, and throne
Why can’t I cross this river?
Angel, angel, what have I done?
I’ve faced the quakes, the wind, the fire
I’ve conquered country, crown, and throne
Why can’t I cross this river?
Pay no mind to the battles you’ve won
It’ll take a lot more than rage and muscle
Open your heart and hands, my son
Or you’ll never make it over the river
It’ll take a lot more than words and guns
A whole lot more than riches and muscle
The hands of the many must join as one
And together we’ll cross the river
It’ll take a lot more than words and guns
A whole lot more than riches and muscle
The hands of the many must join as one
And together we’ll cross the river
Nature, nurture heaven and home
It’ll take a lot more than words and guns
Sum of all, and by them, driven
A whole lot more than riches and muscle
To conquer every mountain shown
The hands of the many must join as one
And together we’ll cross the river
Braved the forests, braved the stone
It’ll take a lot more than words and guns
Braved the icy winds and fire
A whole lot more than riches and muscle
Braved and beat them on my own
The hands of the many must join as one
And together we’ll cross the river
And together we’ll cross the river
And together we’ll cross the river
Nature, nurture heaven and home
And together we’ll cross the river
And together we’ll cross the river
Nature, nurture heaven and home
And together we’ll cross the river
And together we’ll cross the river
Song veröffentlicht 2010
Songwriter: Mat Mitchell / Maynard James Keenan / Tim Alexander
Liebste Grüße von Vera
Denke, ich muss oder will mir das noch einmal anhören.
Brilliant – herzlichen Dank!
Großartiges Thema- freue mich sehr auf‘s Lauschen und Mit- und Nachdenken.